Marathon

So weit die Füße tragen“, ein Roman von J.M. Bauer,



gehört zu meinen Lieblingsbüchern und steht auch als Synonym für meinen freiwilligen Leidensweg, meinem ersten Marathon.

Es begann wie so oft mit Überheblichkeit. Mein bester Kumpel, der schon 28 !!! Marathons gelaufen ist, fragte mich in einem Gespräch über das Alter, wie es bei mir aussehe mit einem Lauf über 42,195 Km.

Ich entgegnete, dass dies für einen Handballer, der ich aus Passion seit über 30 Jahren bin, überhaupt keine Hürde wäre, ja eine geradezu lächerliche Kleinigkeit.

Nun ja, jeder, der sich einmal zu weit aus dem Fenster gelehnt hat, weiß im Nachhinein um die Konsequenzen – ich bis dato noch nicht.

Mein Kumpel nahm mich beim Wort und erklärte, dass er mit mir den Stockholm-Marathon am 05.06.2004 laufen wolle, wäre ja wohl keine Hürde für mich!

Nun, da mir Kneifen fremd liegt, gesagt ist gesagt, stimmte ich noch optimistischen Herzens zu und wir meldeten uns über Internet an, 55 Euro Gebühr.

So langsam begann ich mich „zwangsläufig“ für das Phänomen Marathon zu interessieren und besorgte mir Trainingspläne, sprach unter anderem auch mit dem Bremer Läufer Thorsten Naue.

Nun gut, gelaufen bin ich schon seit mehreren Jahren, zwei bis dreimal wöchentlich, dazu oder ersatzweise Handball. Das musste für eine Vorbereitung doch optimal sein.

Der spezielle Trainingsplan sah dann für zwei Monate vor dem D-Day intensives Laufen vor, wobei ich an dieser Stelle insbesondere meiner Frau Ute danken möchte, die mich von Hausarbeiten grundsätzlich freistellte, um mein Training durchführen zu können.

So weit, so gut, wäre da nicht der 19.03.2004 gewesen. Das letzte Saisonspiel im Handball; es ging um nichts mehr, aber ich wollte ja unbedingt dabei sein, man könnte ja etwas verpassen. Und dann geschah es: beim Aufwärmen wollte ich aufs Tor werfen, sprang ab und landete mit dem linken Fuß auf einem anderen Ball, knickte um, schrie vor Schmerz und ein Gedanke schoss mir durch den Kopf: den Marathon kannst du vergessen.

„Welch ein Preis für einen Augenblick der Unbeherrschtheit!;

(Kpt. Blight zu Fletcher Christian, Meuterei auf der Bounty!)

Die ersten Diagnosen waren vielversprechend, jedoch ein MRT brachte den Tiefschlag. Vermutlich doch Bänderanriss und extreme Dehnung. Schonung des Fußes war angesagt. Der Arzt glaubte nicht, dass ich den Marathon laufen werde; inzwischen war die Anmeldebestätigung für den Marathon bei mir eingetroffen.

Die Sportärztin meines Vertrauens aber stellte einen möglichen Ablauf der Vorbereitung in Aussicht und ich begann statt zu laufen mit dem Fahrradergometer zu trainieren. Ausdauer, so dachte ich, bekommst du auch damit, das Laufen kommt halt später.

Etwa Anfang Mai begann ich dann endlich mit dem Lauftraining und steigert dies kontinuierlich, bis ich Mitte Mai einen Überprüfungstermin bei der Sportärztin hatte. Sie erklärte mir, dass sie im Grunde keinen Pfifferling auf mich gesetzt hätte, bei mir aber der Glaube wohl Berge versetzen würde; ich solle es versuchen, da sie nicht glauben konnte, ich sei schon 30 km im Training, also am Stück, gelaufen.

Dann war es endlich soweit. Am 03.06.04 fuhr ich mit dem Segen meiner Familie gegen Stockholm, d.h. bis Lübeck, von dort mit RyanAir nach Stockholm (Hin 9,99 Euro), es folgte ein ca. 1 stündige Busfahrt ins Zentrum und dort direkt mit der U-Bahn (dort heißt es T-Bahnen) ins IPA-Heim. Eine sehr zu empfehlende Unterkunft, sauber, großzügig, mit Küche, Aufenthaltsraum und zwei Fußminuten von der U-Bahnstation Rissne.

Dort traf ich auch mit meinem Kumpel zusammen und am nächsten Tag schauten wir uns erst einmal Stockholm an. Eine wunderbare Stadt, umgeben von Wasser und bei Sonnenschein von geradezu mediterranem Flair.

Es ging nun zur Anmeldung, am alten Olympia-Stadion. Dort bekamen wir unsere Startnummern fürs Laufshirt, es gab eine Pasta-Party und Iso-Drinks satt; zudem eine Messe rund um den Laufsport.

Abends waren wir noch auf der Freiluftparty mit Lifemusik etc, natürlich nur ganz wenig Bier, denn am nächsten Tag stand der Lauf an.

Und dann war es soweit. Morgens gefrühstückt, noch mal aufs stille Örtchen und ab mit den Klamotten für danach ins Stadion.

Es war alles perfekt organisiert. Der Transport mit öffentliche Verkehrsmitteln war für die Läufer frei. Es gab jede Menge Drinks (Iso) und natürlich jede Menge Läufer, insgesamt 16.400! Und wir dabei, wouh!

Nur noch wenige Minuten bis zum Start. Wir befanden uns im letzten Abschnitt mit den meisten Läufern des Feldes und die Sonne brannte unerbittlich. Jetzt war es an der Zeit den großen Worten Taten folgen zu lassen; und just in diesem Moment streikte meine Pulsuhr. Dann der Startschuß.

Für uns dauerte es etwa sieben Minuten, bis wir die Startlinie überquerten. Aber dank eines speziellen Chips, den man am linken Schuh befestigen musste, wurde erst jetzt mit unserer individuellen Zeitmessung begonnen.

Die ersten Kilometer gingen nur schleppend, so mein Eindruck, voran und aufgrund der Enge konnte man auch schlecht überholen.

Zudem war man abgelenkt von winkenden und sportbegeisterten StockholmerInnen, Life-Bands und brasilianischen Tanzgruppen.

Alle drei Kilometer gab es Erfrischungsstationen mit Iso- oder Wasserbechern. Ebenso wurden dort in kaltes Wasser getränte Schwämme gereicht, was auch nötig war bei der Hitze, immerhin 24°C.

Die Strecke musste in etwa zweimal gelaufen werden. Sie ging vom Olympiastadion durch den Park, am Königsschloss vorbei, den Wasserwegen entlang über eine langsam aber schier endlos erscheinende Steigung einer Brücke, durch die Alt- und Innenstadt bis zurück zum Stadion, wo der erste Frust aufkam. Denn dies war der Punkt, an dem der führende Läufer, ein Joseph Riri aus Kenia, den Rest des Feldes überrundete. Die Siegerzeit 2:16.12. (ca. 3:10min auf 1000m)

Wir hatten also noch eine weitere Runde vor uns. Und die hatte es in sich. Es war zumindest bei mir genauso, wie die Prophezeiung es vorsah. Der Mann mit dem Hammer wartet jenseits der 30 Km-Marke. Bei mir bei 32 Km. Ab da ging es nur noch, weil der Kopf es wollte; die Beine waren schwer und meine Kniekehlen schmerzten.

Jeden Kilometer, der jeweils mit großen Schildern angezeigt wurde, hakte ich im Kopf ab und begann mich das ein ums andere Mal zu fragen, hast du das letzte Schild verpasst, nicht gesehen! Doch dann kam es und die Kilometer erschienen länger und länger zu werden.

Dann kam erneut die Brücke, die endlose Steigung. Ein Blick für das traumhafte Panorama, wie in der ersten Runde, weit gefehlt: Kopf nach unten, nicht die Entfernung vorne wahrnehmen, nur sagen: weiter, weiter. Immer weiter, sich motivieren bis zur nächsten Laterne, zur nächsten Kurve, bis zur nächsten Kreuzung etc. Und es ging weiter. Und es ging plötzlich wieder etwas leichterer, dort, als der Zenit der Steigung überwunden war und es abwärts ging. Jetzt sich laufen lassen, abwärts, nur noch einige Kilometer, die sich zwar weiter in die Länge zogen, die aber vorbeigingen, wie auch der Schmerz, der verdrängt wurde.

Jetzt endlich, der Turm des Olympia-Stadions kam in Sicht und es war keine Motivation mehr erforderlich. Die Medallie winkte uns schon zu, der passende Rahmen lockte: Einlauf ins ehrwürdige Olympia-Stadion von 1912, in dem über 80 offizielle Weltrekorde aufgestellt wurden; nein - von mir natürlich nicht. Aber ich würde es schaffen, das wusste ich jetzt. Überall standen Menschen und jubelten uns zu, machten Mut, machten einen süchtig auf mehr; Endorphine in zwar noch schwacher Dosis, aber immerhin.

Dann der Einlauf durch das Stadion-Tor. Nach diesem Lauf nur noch eine halbe 400m-Bahn; dann war es vollbracht. Man zählte nicht mehr die Schritte, man sah, genoss den Jubel der Massen, sah im Halbrund den Zieleinlauf und wurde getrieben vom Willen, es endlich zu beenden; keinen Kilometer, keinen Meter, keinen Millimeter mehr als nötig.

Dann, wir nahmen uns bei den erhobenen Händen, wollten ein schönes Erinnerungsphoto beim Zieldurchlauf und was geschah: beide Photografen wechselten den Film: Egal, Zieldurchlauf bei 4:48:48, gewartet, bis der neue Film im Kasten war und endlich das Photo!

Danach fiel alles von mir ab, ich war nur noch glücklich, fror wie ein Schlosshund und wollte nur noch heiß duschen.

Wie wir da so standen kamen die Endorphinschübe heftiger, hey, schade, schon vorbei!? Nur nicht hinlegen, den Augenblick genießen, schauen, wie andere ankommen, die zu hauf schon gegangen sind, wir sind durchgelaufen.

Nun kam auch der Augenblick, den ich so herbeisehnte: die Überreichung der Medallie; zwar nicht so pompös wie beim Sieger, aber ein verdammt gutes Gefühl.

Es folgten die Abgabe des Chips, die Aushändigung des offiziellen T-Shirts, das jeder Finisher bekam und nun die Abholung der eigenen Klamotten für danach.

Man, der geneigte Leser vermag sich kaum vorzustellen, wie wunderbar Männerschweiß in Verbindung mit Dampfschwaden in dem Katakomben der Duschräume wirken kann. Die doch stark geruchsbelastete aufkommende Wärme weckte die Lebensgeister, sie kamen zurück. Die Wärme vertrieb die Schmerzen in den Knien und machte die Füße wieder lockerer. Während ich mich nun auf den Gang hockte, kam mir der Queen – Klassiker „We are the Champions“ in den Sinn und mein Kumpel und ich sangen den größten Teil, einige fingen an zu schmunzeln, ich fand, es klang herrlich.

Als ich dann endlich unter der Dusche stand, war es der Höhepunkt schlechthin: 20min geduscht, bei gefühlten 90°C, es war die Neugeburt.

Fertig angezogen waren wir wieder voller Tatendrang, trafen die drei Läufer, die mit meinem Kumpel angereist waren; Bestzeit für die einzige Frau im Team: 3:57:45; Klasse Leistung und Hut ab.

Ich ließ beim Roten Kreuz meine Blutblase am linken Fuß behandeln, wobei der Abschluss eine herrlich entspannende Fußmassage bedeutete.

Der weitere Verlauf war nur noch Formsache; ab in den Biergarten zu Country-Musik life, sowie Irish-Folk zum Mitsingen. Es wurde eine lange, schöne Nacht mit Siegerzigarre im Zentrum Stockholms.

Am nächsten Morgen standen wir spät auf, hatten genügend Zeit, da wir eine Brunch-Fahrt mit dem Dampfer durch die Schären um 12.00 h gebucht hatten. Ein Erlebnis, das ich nicht missen und jedem empfehlen möchte. Es war fabelhaft; Fisch-Büffet vom Feinsten, reichlich und äußerst nette Bedienung. Die Fahrt dauerte drei Stunden bei herrlichem Sonnenschein und einer schönen Flasche Wein, Postkartenmotive entlang des Ufers inklusive. Anschließend rundete im wahrsten Sinne des Wortes eine Sightseeing-Tour den Tag ab, der allerdings auch erneut beim Stadtfest endete.

Leider flogen wir am Montag wieder zurück, jedoch mit der Gewissheit im Herzen, es war nicht das letzte Mal; Stockholm, wir sehen uns wieder!



So steht doch am Ende die Erkenntnis:



„Auch der Anfang eines langen Weges beginnt mit dem erste Schritt “


Weitere Infos:

- Internet:www.marathon.se- Kurs: 100 € etwa 915 SEK / 100 SEK etwa 10,95 €
- Sprache: mit englisch kommt man überall durch
- Zeit: MEZ
- 1 Bier: 5 €

Nun auch das stolze „Sieger-Foto“ im Netz, unser Marathoni Fred ist der junge sympathische Mann mit der Startnummer 10186!!
Durch Klick auf das kleine Foto am Anfang könnt Ihr den Marathoni in voller Größe sehen.





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